was alle tun - eine Metapher
Wenn ich aus dem Stau 'raus will - dem was alle tun - kann ich an der nächsten Ausfahrt abfahren und dann mit etwas mehr Freiheit das tun was nicht alle tun. Die Frage ist nicht ob es geht, sondern ob ich das will. Vor allem ist es fraglich ob ich bereit bin mit den Konsequenzen zu leben, die das nach sich zieht. Einmal aus dem Stau 'raus ist weder ein Kunststück noch eine echte Veränderung. Draußen bleiben heißt die Herausforderungen, und das auf vielen Ebenen. In dem was alle tun liegt eine gewisse Sicherheit. Ich gehöre dazu, brauche meinen Kurs im Strom der Mehrheit kaum zu hinterfragen. Aber es staut.Um selten im Stau zu stehen ist es notwendig mich azyklisch zu bewegen, den "Autobahnen" in den Stoßzeiten fern zu bleiben. Das kollidiert mit meinen Arbeitszeiten, mit den Öffnungszeit von Kindergarten und Schulen, mit den Gewohnheiten meiner Familie und meiner Freunde, ..., nicht so einfach. Außer dem Stau bin ich dann auch aus vielem anderen 'raus.
was wenige tun
Es gibt einen Trainer und viele Spieler, einen Lehrer und viele Schüler. Noch krasser wird das Verhältnis in einem Stadion oder auf einem Konzert - ein paar Spieler und sehr viel Zuschauer; eine Musikband und sehr viele Zuhöhrer; ein Bundestag und sehr, sehr viele Wähler. In der ersten Reihe können nicht alle stehen, und ich müsste mich da wohl fühlen.was noch wenigere tun
Auch Trainer, Musiker und Bundestagsabgeordnete stehen im Stau. Selten im Stau zu stehen ist ein Luxus, der entsprechend kostet. Den können sich nur in vieler Hinsicht Selbstständige leisten, und es braucht Jahre entschlossenen Gegensteuerns um sich so etwas aufzubauen. Es hat außerdem Nachteile, wie alles. Eine Folge von Seltenheit ist eine gewisse Isolation. Gleich und gleich gesellt sich gern, und wenn Gleiches selten ist dann ist auch Geselligkeit selten. Als orangen Hund mit grünen Punkten einen anderen oranger Hund mit grünen Punkten zu finden ist eben schwer.was tun?
Vor etwa 35 Jahren wurde ich Vegetarier (grüne Punkte). Wenn ich irgenwo zum Essen eingeladen war wo ich mich rechtfertigen musste - und das war damals überall - habe ich Krankheitsgründe vorgeschoben um Rechthaberei und Diskussionswettkämpfe zu vermeiden. Das ist heute nicht mehr notwendig. Außerdem wurde ich Yogamissionar und trug tatsächlich eine orange Uniform mit Turban, etwa 12 Jahre lang. In der Zeit habe ich mich fast nur innerhalb der Yoga Organisation bewegt, und meistens "als normal" verkleidet wenn ich öffentlich unterwegs war.Was vor 35 Jahren noch als anstößige Abweichlertum bekämpft wurde, ist heute immer noch nicht normal, aber immerhin akzeptabel. Die Umstände haben zwischenzeitlich gezeigt dass Vegetarier und auch nur ganz normale Menschen sind. Uniformierte Yogalehrer sind das noch nicht und werden es vielleicht nie werden. Entwicklung verläuft eben so. Die ganz Wenigen sind Pioniere die ausgefallene Sachen probieren. Falls diese ausgefallenen Sachen sich irgendwie bewähren machen es ein paar andere nach, und allmählich viele. Das ehemals Ausgefallene wird gewöhnlich wodurch ältere Gewohnheiten teilersetzt werden, sich dadurch entstauen, wieder in Bewegung kommen. Mit der Zeit geht der alte Stau weg, und..?
Ein neuer baut sich auf, diesmal vegetarisch. Was also tun? Nun, ein Pionier wird sich in keinem Stau wohlfühlen können. Sie/ihn zieht es immer ins noch Unbekannte jenseits bewährter Gewohnheiten. Ich war noch nie ein Mensch der ersten Reihe. Anfangen habe ich als einer der sehr vielen, und das gern, bis dann der Pionier in mir durchkam, auch gern. Aber das ist eine andere Geschichte.
Das Leben ist bunt und es gibt für jeden einen Platz an dem sie/er sich wohlfühlen kann. Den gilt es zu finden und wieder auszugeben wenn ich sich was drastisches ändert. Es braucht immer sehr viele die tun was alle tun. Darin liegt Sicherheit und Stabilität. Es braucht immer die Wenigen die gern in der ersten Reihe stehen und das können und mögen. Und es braucht auch immer die ganz wenigen denen Grenzen ein Dorn im Auge sind, egal wie sie aussehen, egal wie sinnvoll sie zurzeit sind.