Gefühle klären - eine unendliche Geschichte?
So weit, so gut - doch was hat das mit Gefühlen zu tun? Nun, die Sprache meines Körpers, mit der er mir Information mitzuteilen versucht, bevor er zur lautstärkeren Symptom- und Schmerzsprache übergeht, sind Gefühle. Wenn ich mein Gefühl den Verlauf meines Handelns mit beeinflussen lasse, wenn ich es dadurch ausdrücke, ändert es sich - ich fühle mich dann etwas besser ("heiß"), oder ich fühle mich etwas schlechter ("kalt"). Wenn ich meine Gefühle unterdrücke, dann werden sie irgendwo in meinem Körper als Erinnerung gespeichert, bestimmte Gefühle oft an bestimmten Orten.Dort bleiben sie solange, bis ich sie irgendwann einmal ausdrücke. Das hat dann nicht mehr so viel mit der Situation zu tun, in der sie entstanden sind. Ich spiele Heiß-Kalt zeitversetzt und verallgemeinernd. Vormals Unterdrücktes platzt gesammelt in ein Jetzt das nur noch schematische Ähnlichkeit mit den verschiedenen Entstehungsituationen der hervorplatzenden Gefühle hat. Bildlich gesagt haben die vielen Streichhölzer (unterdrückte Gefühle) gemeinsam nach der erstbesten Reibefläche gesucht. Je mehr unterdrückte Gefühle sich ansammeln umso mehr steigt der Druck, umso beliebiger kann die Reibefläche sein. Eugen Roth beschreibt das in einem seiner Gedichte so:
Zum Beispiel mancher sich nichts denkt, im Augenblick wo wer ihn kränkt.
Erst nachts dann, wenn er schlaflos liegt, merkt er, dass er was abgekriegt,
Und ist auf einmal so erbittert, dass ihm vor Zorn die Nase zittert.
Die Kränkung, jetzt erst ausgebrochen, bedarf zur Heilung vieler Wochen;
Vergebens feilt er nun am Wort, das ihm geholfen hätt' sofort.
Ich wähle gewohnheitsmäßig oft die schlechteste aller Möglichkeiten des Umgangs mit meinen Gefühlen - ich unterdrücke sie. Warum? Ich weiß nicht, ob es bei ihnen genauso ist, aber ich habe Angst, dass meine Gefühle mich kontrollieren könnten, und versuche deshalb, sie zu kontrollieren. Das gelingt mir zwar in dem Moment, in dem ich sie unterdrücke, aber dafür kontrollieren sie mich irgendwann später, wenn sie massenhaft aufgestaut ihre Unterdrückung explosionsartig abschütteln und dann in Situationen hervorbrechen, die nur noch entfernt mit ihrer Entstehung zu tun haben. Ob das mein Leben wohl einfacher macht? Auf keinen Fall! Es macht es eindeutig komplizierter! Ich fange an, zeitversetzt zu leben und mit meinen gestauten Gefühlen Menschen entgegenzutreten, die an ihrer Entstehung nicht beteiligt waren. Das passt einfach nicht (mehr), ich erscheine schräg und ungerecht. In mir läuft ein alter Film ab der mit der gegenwärtigen Realität nicht viel zu tun hat und alle merken es, selbst ich. Das ist krank!
Doch die offensichtliche Lösung - mit meinen Gefühlen gleich bei ihrer Entstehung Heiß-Kalt zu spielen - bringt mich in schlechten Ruf, im Extremfall ins Gefängnis oder ins (psychiatrische) Krankenhaus. Der Druck meiner bisher angestauten Gefühle ist so groß, dass er sich aggressiv-explosiv zu entladen droht, sobald ich auch nur den kleinsten Ansatz zum Heiß-Kalt Spiel mache. Jedenfalls geht es mir so und davor habe ich Angst. Ich möchte lieber höflich bleiben, auch da wo es nicht passt, wo es angemessener und gesünder wäre den Mund gleich aufzumachen. Das Mund aufmachen kann ja höflich verlaufen und trotzdem bestimmt, zumindest könnte ich es lernen. Es ist halt unbequem, nicht nur für mich. Reibung ist dann sofort da, da wo sie hingehört.
Als ich dann mal richtig hingeschaut habe, hab' ich gemerkt, dass ich mich nur in Extremsituationen an die Option des Heiß-Kalt Spiels erinnere. Entweder wenn es mir richtig gut geht und ich es nicht brauche, oder wenn es mir richtig schlecht geht und meine (entstauten) Gefühle mich zu Handlungen zu drängen drohen, die im Gefängnis oder Krankenhaus enden. Es ist so ähnlich wie mit dem Beten, denn das fällt mir nur ganz unten auf der Emotionsleiter ein, oder ganz oben. Auch "Danke!" ist ein Gebet und mein erstes ehrliches Danke hat mir die Tür zum bisherigen Niemandsland zwischen den Extremen eröffnet. So ähnlich ist es mit den Gefühlen. Die Tür zum Heiß-Kalt Spiel, zu den Weiten des bisherigen Niemandslands, öffnet sich am einfachsten dort wo es mir extrem gut geht, wo ich es gar nicht zu brauchen scheine.
Es folgen Beschreibungen einiger meiner Heiß-Kalt Spiele, in der Hoffnung dass es ihnen den Mut gibt mit ihren eigenen anzufangen, den Mut mit ähnlich kleinen Schritten in unscheinbaren täglichen Situationen zu beginnen, die anderen total unwichtig erscheinen und doch für sie die Welt verändern, und zwar bevor es ein Therapeut als Symptom erkennen kann.
- Ich habe so gelernt, mir zu vertrauen, ohne deshalb anderen misstrauen zu müssen. Damit bin ich allerdings noch lange nicht fertig.
- Ich habe so gelernt für meine Gefühle verantwortlich zu sein, selbst wenn sie mir nicht bewusst sind und ich sie nicht kontrollieren kann. Daher weiß ich, dass auch andere für ihre Gefühle verantwortlich sind, selbst wenn sie sich ihrer Gefühle nicht bewusst sind und obwohl sie sie nicht kontrollieren können. Auch damit bin ich noch lange nicht fertig.
- Ich habe so gelernt meine Gefühle als eine an die jeweilige Situation angemessene Handlungsempfehlung zu schätzen, was die Bandbreite meines Reagierens und Handelns in dieser Situation erweitert; deswegen werde ich toleranter gegenüber mir selbst und gegenüber anderen - eine unendliche Geschichte.
Carl Gustav Jung hat einmal gesagt, dass sich ein innerer Impuls als Schicksal im Außen materialisieren muss, es sei denn man folge ihm innerlich. Ob er wohl das gleiche wie ich gemeint hat, die Sprache des Körpers? Auf jeden Fall habe ich eine Menge innerer Impulse als Schicksal ausgelebt; daran kann ich schon lange nicht mehr vorbeischauen. Ebenso klar ist, dass ich es jetzt nicht mehr im gleichen Ausmaß wie früher tue. Ich folge jetzt mehr meinen inneren Impulsen bevor sie sich materialisieren müssen/können.
Vielleicht glauben sie mein Leben wäre dadurch einfacher geworden? Weil andere es nicht mehr so knallen sehen oder hören können? Weil sich die Sprache meines Körpers nicht mehr so sehr für andere wahrnehmbar ausdrückt, z.B. für einen Therapeuten? Nun, mein Leben ist dadurch anders geworden. Denn ich höre mittlerweile zu - so gut ich es im jeweiligen Moment kann. Und morgen kann ich es noch ein bisschen mehr. Und das sie den Knall nicht mehr hören oder seine Auswirkungen sehen können, heißt noch lange nicht dass es nicht geknallt hat. Er musste halt nicht mehr so lauf werden, der Knall.
Und hier ein paar Fakten aus knalligen Abschnitten meines Lebens (mit Altersangabe):
- 23: Nahtoderlebnis, Ende der Handball-Karriere (1. Bundesliga) wegen 3-monatiger Weltreise
- 24: 3-monatige Afrikareise
- 26: Studienabbruch, Aufbruch zu einer unbefristeten Amerikareise
- 27: Rückkehr, da beide Elternteile versterben (Mutter Selbstmord, Vater Krebs), danach erneuter Aufbruch nach Frankreich
- 28: Nahtoderlebnis in Mexico, Beitritt zu einer weltweiten Glaubensgemeinschaft
- bis 34: Südostasien, Indien, missionarische Ausbildung & Tätigkeit, Diabetes
- 35: Gefängnisaufenthält (18-monatig) in Indien wegen Goldschmuggels
- bis 42: missionarische Tätigkeit in Südostasien, Sibirien, Taiwan
- 43: Rückkehr nach Deutschland mit 200,- DM Gesamtvermögen, Heirat
- 44: Scheidung